Die modernen Blechinstrumente sind viel zu scharf intoniert. Daher wirken sie eher aufdringlich als glanzvoll, eben „Jubelbrause“ statt die Würde und Pracht eines Kirchraumes zu unterstreichen und das Geschehen darin selbstbewusst zu kommentieren – ich kann jeden verstehen, der vor solcher Seelenlosigkeit die Segel streicht. Das sind nur noch Noten, akkurat wiedergegeben… aber Gabrielis Musik ist eben etwas Anders als akkurat gespielte Noten wiedergeben können.
Mit Sicherheit spiegelt sich in seinen Kanzonen und Recercari, in seinen Sinfonien der Geist Venedigs, man sieht förmlich die Vertreter der Signoria vor sich, wie sie im Dom Platz nehmen und den Klängen lauschen in denen sie sich wiederfinden: nur sind diese Klänge andere als die, die wir heute vernehmen, wenn wir wieder einmal eine Aufnahme dieser Musikstücke auflegen – und uns kurz darauf die Ohren zu, denn so grell wollten wir es eigentlich nicht.
Diese Musik ist auch nicht für ein reines Bläserensemble geschrieben, mit Fug und Recht lässt Gabrielis Partitur Besetzungsfragen außer Acht und notiert nur die Stimmen. Eine gute Wiedergabe ist die alte Aufnahme mit Wenzingers Schola Cantorum Basiliensis, in der Flöten, Zinken, Bombarden, aber auch Violinen und Gamben neben den Posaunen und gelegentlich wohl auch Trompeten verwendet werden, moderne Instrumente aber weitgehend außen vor bleiben. Die Klangpracht leidet übrigens keineswegs unter dieser gemischten Besetzung. Sie ist in sich und gegeneinander viel zu gut eingesetzt. Und – nicht alle diese Musikwerke sind gleicherweise auf Klangpracht berechnet, es gibt auch nachdenkliche, ja geradezu grüblerische, fragende Partien, es ist eine freie, vom liturgischen und funktionalen Kontext gelöste Musik. Es geht nur noch um Schönheit und um die Transparenz eines polyphonen Gebildes im Gegensatz zu der oft verunklärenden Polyphonie der niederländischen Schule, von der die venezianische indes (Willaert) abstammt. Aber sie geht eigene Wege. Die Werke des älteren Gabrieli sind noch weit mehr der dichten, intransparenten Polyphonie der jüngeren Niederländer verpflichtet, die des jüngeren Gabrieli nicht mehr und das muss sich auch in der Aufführung derselben widerspiegeln und das schafft kein modernes Brass – Ensemble.
Mit Gabrieli erreicht die venezianische Schule ihren Zenit – seine Nachfolger verfolgen schon eine Musik der vorgegebenen Floskeln, mit denen Gabrieli noch ringt. So sind auch ihre Arbeiten zum größten Teil beliebig und eben „Weihnachtsmusik“, über die man weghören kann. Aber Größeres als seine Musik ist im Bereich der „Kirchentonarten“ nicht mehr geleistet worden, erst im Bereich der Dur – Moll – Tonalität taucht dann Monteverdi mit seinen genialen Opern auf. Gabrieli reizt das modale System bis zum Anschlag aus, aber seine feine Arbeit geht im Blechgetöse der modernen Aufnahmen unter. Und es fehlt zudem auch den besseren an der leicht heiseren Intonation der Orgel von San Marco, die hier, trotz modernem Ensemble, wenigstens zwei Mal mitspielen darf, aber wohl früher oft mitgespielt hat und die dem Ensemble quasi aus dem Hintergrund eine raffinierte Klangkrone verpasst.
Gabrieli hat aber nicht nur Instrumentalmusik verfasst, sondern auch einen Schatz an Motetten, die an Klangpracht nicht hinter jener zurückbleiben, aber vielleicht eine Spur konventioneller sind. Nur ist die Spur manchmal recht schmal – denn absichtsvoll arbeitet Gabrieli mit verschiedenen Tempi, steigert und vermindert sie, setzt sie gegeneinander, arbeitet mit Solo- und Plenumgruppen und natürlich verzichtet er auch nicht auf die Beteiligung von Instrumenten, warum sollte er. So taucht er die Musik in samtene Dunkelheit wie in strahlendes Licht, läßt weniges viel sein und vieles wenig, wenn es sich in anscheinend homophonen Passagen ergeht, die aber nichts als Engführungen polyphoner Passagen sind und was die Musik seiner Zeit an rhythmischen Möglichkeiten bietet und das ist Einiges, lässt er sich auch nicht entgehen. All das geht in besagter Aufnahme manchmal allerdings etwas im Klangbrei unter… wohl deshalb, weil ein Chor und kein Solistenensemble beschäftigt war, das hier eigentlich hin gehört hätte.
Wer aber einen Querschnitt der Musik Gabrielis gewinnen will, ist, vorgenannte Einschränkungen eingeschlossen, mit dieser Platte recht gut bedient – mir ist die Orgelmusik etwas zu kurz gekommen, immerhin gibt es da mehr und Anspruchsvolleres als seine „Intonationen“. Aber die Interpretation italienischer Orgelmusik ist wohl eine Sache für sich und bei den Intonationen kann man noch am wenigsten falsch machen – macht man auch nicht, da sei die Orgel von San Marco vor. Die wenigsten Organisten, am norddeutschen und romantischen Klangideal geschult, kommen mit der asketischen Interpretationsweise italienischer und auch spanischer Orgelmusik älterer Herkunft klar, entweder sie registrieren zu dick, zu hoch oder sie nehmen die Tempi zu forsch und sausen über die Figuren hinweg, als ob es nichts kostet. Aber es kostet eben alles. Daher kann ich auch keine der vielen Interpretationen italienischer oder spanischer Orgelmusik des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts empfehlen – und bin so auch ganz froh, dass sich niemand der Orgelstücke Giovanni Gabrielis angenommen hat, jedenfalls nicht auf dieser Aufnahme.
Die Aufnahme: Gabrieli in San Marco – Edward Power – Biggs, The Gregg Smith Singers, The Texas Boys Choir, The Edward Tarr Brass Ensemble und das Gabrieli Consort „La Fenice“ auf Sony Essential Classics, Leitung Vittorio Negri