20.07.2014

Oh Musica, du edle Kunst…

 

…bist würdig aller Ehr und Gunst – dieser Luther – Vers fiel mir eben wieder ein, als der Schiffskorso zum Christopher Street Day an unserem Balkon vorüber schwebte und jedes Schiff mit einer anderen Art Krach aufwartete. Die auf den Schiffen fuhren, nennen diesen Krach freilich mit einem anderen Namen: sie nennen ihn Musik. Und der CSD ist auch nicht mehr, was er mal war, seit die Schwullesben in Deutschland so gut wie keine Diskriminierungen mehr zu befürchten haben. Haben sie nun Angst, dass so gut wie kein Hahn mehr nach ihnen kräht und sind sie deshalb so laut und schrill? Aber lassen wir das und widmen wir uns weiterhin unserem Thema.
Musik also. Es gibt, darüber sind sich wohl alle einig, kein Volk auf Erden, das nicht irgendeine Musik hätte. Die Musik, die es jeweils hat, ist mehr oder weniger Spiegelbild seines kollektiven Geisteszustandes. Das ist nicht im Sinne von Beeinträchtigungen zu sehen, sondern beschreibt nur neutral deren Prioritäten. Bei den Naturvölkern sind es Naturlaute, aus denen ihre Musik entsteht, bei den Kulturvölkern sind es Töne, die den Umkreis ihrer Kultur umschreiben, die Hochkultur besitzt ein ganzes Arsenal an Klangfarben, Tönen und Rhythmen, so auch Europa bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts, ehe Europa zur Zivilisation überging zusammen mit den Vereinigten Staaten. Es ist vielleicht Wenigen bekannt, aber auch die Vereinigten Staaten haben ihre musikalische Klassik gekannt und geliebt und sie ist der kontinentalen gar nicht einmal so unähnlich. Auch wenn sie keine Genies wie Beethoven oder Wagner hervorbrachten, gute Leute sind auch bei ihnen zu finden und sogar, denken wir nur an Gershwin, Bernstein und Ives, bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein. Auch diese und einige Andere gehören heute zum „Welterbe der Musik“ oder wie man bei uns zu sagen pflegte, zum „Goldenen Fonds“ der Weltkultur.
Musik ist aber auch immer mit denen verbunden, die sie treiben und man treibt seit ältesten Zeiten viel Verschiedenes mit ihr. Es gab bereits in der Antike große Künstler… und es gab auch schon in der Antike jene Musik, die man nur mit dem Attribut „populär“ bezeichnen kann. Damit ist das unendlich weite Feld der Gebrauchsmusik gemeint, die vom Kinderlallen bis zum Spottlied reicht und die mit ihrem Anlass entsteht und auch mit ihm untergeht um sich an andere Stelle und zu anderem Anlass neu zu erheben. Weiterhin besteht noch das ebenfalls unendlich weite Feld der Tanzmusik, in der sich die Trommelrhythmen Afrikas mit den Klängen der mittelalterlichen Drehleiern und dem Sound böhmischer Blasmusik ganz legitim vermischen. Diese Tanzmusik entsteht und vergeht aus dem Augenblick und nur ganz wenige dieser Melodien überleben ihre Zeit und finden sich als Themen in „klassischen“ Bearbeitungen wieder, wie in Händels „harmonischem Grobschmied“ oder Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“ in der es um eine ungarische Melodie geht. In Ägypten gab es die Gesänge und Musikstücke der Tempel, die unserem harmonischen Empfinden seltsam entsprechen, und es gab die Musik des Alltags mit ihren lockeren Rhythmen und nie ganz lupenreinen Melodien. In Griechenland gab es die – einstimmigen – Festgesänge und die manchmal geradezu abenteuerlichen Auf-und-Ab- Bewegungen der alltäglichen Lyrik, die ja auch stets gesungen wurde – die lateinischen Klänge waren nicht viel anders geartet. Allen aber ist gemeinsam, dass die Musik zum Tanz das Ekstatische kannte wie auch das feierlich – Gebundene und auch in der beginnenden Neuzeit kennen wir beide Faktoren, Galliarde und Pavane, Sarabande und Gigue. Meist folgen sie sogar in thematischer Verbindung aufeinander, die majestätische Basse Danse wird zum hüpfenden Nachdans. Auch harmonische und rhythmische Kühnheiten sind gar nicht so selten… dennoch ist und bleibt diese Musik Massenware und will auch gar nichts anderes sein. Selbst dann nicht, wenn einige dieser Melodien gesamteuropäische Popularität erreichten wie die „flandrischen Mädchen“, die noch hundert Jahre später Frescobaldi das Thema für einen seiner großen Variationszyklen abgaben oder das hochberühmte Bataille – Modell, das noch im achtzehnten Jahrhundert bei Cabanilles für thematischen Nachschub sorgte. Ob eine der Musiken, die da gestern auf den Schiffen gespielt wurden, eine ähnliche Geschichte haben wird, ich weiß es nicht. Immerhin kommt es vor – auch einige Songs der Beatles gehören heute schon zum klassischen Repertoire selbst angesehener Sinfonieorchester…
Will sagen: Pop – Musik gab es immer schon und wird es immer geben solange es Menschen gibt. Das ist nicht der Punkt, an dem meine Kritik ansetzt. Sie setzt an der Art des musikalischen Reichtums, an der Weise der musikalischen Klarheit, kurzum an der Frage, in wieweit eine solche Musik den Nerv unserer musikalischen Ästhetik trifft und so auch von verschiedenen Leuten mit verschiedenem Musikgeschmack zumindest toleriert werden kann. Sie stellt die Frage, wie die musikalische Ästhetik derer entwickelt sein muss und welche Prioritäten da gesetzt sind, denen sie gefällt. Einem am rein tonalen Prinzip geschulten Ohr gefällt sie nicht, soviel dürfte klar sein, aber auch einem Ohr, das mit atonalen Mustern immerhin umgehen kann, geht sie nicht recht ein. Aber woran liegt es, dass sie sichtlich Hunderten und Tausenden gefällt? Am Genuss künstlerischen Raffinements wohl nicht – woran dann? An edler Einfalt und stiller Größe liegt es auch nicht, woran aber dann? Liegt es daran, dass wir es schlussendlich gar nicht mit Musik zu tun haben? Dass wir es nicht mit Kompositionen zu tun haben, sondern, sagen wir es frei weg, mit Betäubungsmitteln? Dass man gar nichts hören will, sondern nur etwas fühlen? Das Metier ist bekannt, bestimmte Rhythmen versetzen, über längere Zeit und in großer Lautstärke rezipiert, das Gehirn in einen gewissen Zustand der Absenz. Das Gleiche trifft für bestimmte Frequenzen zu. Ist es das, was gewollt ist und nicht die bewusste Bewegung zu den Vorgaben irgendeines musikalischen Gebildes, das unsere eigene Freude widerspiegelt oder unsere eigene Melancholie, unsere eigene Spottlust? Konsumieren wir diese Klänge und Rhythmen wie wir Alkohol konsumieren? Bin ich mit meiner Suche nach musikalischen Kriterien hier ganz auf der falschen Spur? Es scheint zumindest so zu sein, dass ich besser die Drogentherapeuten um Rat fragen soll als die Musikästhetiker und Musiksoziologen.
Ist dies Komasaufen auf Musikalisch? Es scheint so zu sein, denn außerhalb eines bestimmten rauschhaften Zustandes empfindet jeder Mensch diese Kombinationen als nicht tolerable Zumutung an seine Sinnesorgane. Diese irrlichternden Tonfolgen, grundiert von monotonen niederfrequenten Rhythmen, denen beim besten Willen ein Melodiebogen nicht abzuhören, noch nicht einmal abzuspüren ist, sie scheinen wirklich eher einem rauschhaften Erleben zugänglich zu sein als einem nüchternen Gehirn. Sollte es Texte zu dieser Musik geben, so sind sie absichtlich so gestaltet, dass ihre Verständlichkeit von vornherein nicht beabsichtigt ist. Es soll da einfach nur eine irgendwie verzerrte menschliche Stimme ihr Wesen treiben, was sie und warum von sich gibt ist ganz und gar irrelevant. Diese menschliche Stimme hat keine andere Aufgabe, als Sympathiewerte zu vermitteln, da man ja etwas Menschliches vernimmt, auch wenn man nicht ergründen kann, was man hört, so, wie zum Alkohol der Geschmack als Vertrauen stiftendes Moment gehört: es schmeckt gut, also trinkt man. Woraus der Geschmack besteht will man lieber nicht wissen, aber man empfindet ihn als nette Geste. Ansonsten: aufreizend eines, niederschmetternd das Andere und aufputschend Beides – das ist moderne Tanzmusik, die auf jeden anderen Inhalt verzichtet außer auf diesen: das Subjekt der eigenen Handlungsfähigkeit möglichst schnell zu entheben, es zum Objekt in diesem Falle akustischer Manipulationen zu machen und das möglichst vollkommen. Soll ich das lieben, wenn ich nun einmal nicht besoffen werden will? Wohl kaum. Aber – warum drückt mir das Bezirksamt drüben dann solches aufs Ohr?

Hinterlasse einen Kommentar

Dein Kommentar:

Kategorien