Das Arabien des siebenten Jahrhundert unserer Zeitrechnung stand – nominell – unter der Herrschaft des neupersischen Reiches. Es war durch den Sieg der Perser über die Neubabylonier dahin gelangt, aber das Interesse der Perser an dem ausgedehnten Wüstengebiet reichte nicht weit. Die Perser bauten ihre Feuertempel in die Gegend und machten sich wieder davon. Das war im Großen und Ganzen ihre Eroberung. Arabien war im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung sich weitestgehend selbst überlassen. Auch die Priester der Feuertempel zogen, da sich niemand für sie interessierte, wieder nach Hause. Die meisten dieser Gebäude verfielen dann auch, nur in Mekka, einer Karawanenstadt im Westen Arabiens blieb das Gebäude erhalten und stand zunächst leer, ehe die Mekkaner Kaufleute auf eine gute Idee verfielen. Eigentlich lag sie auch nahe: in jedem Jahr nämlich wurde in Mekka großer Markt gehalten und Stämme und Clans aus allen Himmelsrichtungen kamen um ihre Waren feilzubieten und um alle möglichen Angelegenheiten zu besprechen und, wenn möglich, zu erledigen. Ihre Schwurgötter brachten sie immer wieder mit, denn jedes Übereinkommen musste vor ihnen beschworen werden. Nun boten die Mekkaner ihnen an, ihre Schwurgötter gegen Entgelt im alten Feuertempel aufzustellen und zu bewahren. Selbstredend stellten sie ihre eigenen dazu – aber so wurde der alte Feuertempel nun zu einem arabischen Zentralheiligtum, das wieder Gewinn abwarf statt nutzlos in der Gegend herum zu stehen.
Die Araber verehrten zu dieser Zeit alles Mögliche: von seltsam geformten Steinen über alte Schwerter bis zu antiken Statuetten, die sie irgendwo im Sand gefunden hatten. Einen schwarzen Stein, der vom Himmel gefallen sein sollte, vielleicht einen Meteoriten, verehrten die Mekkaner aber besonders. Sie opferten ihnen, was sie gerade zur Hand hatten: Tiere, Teile von Tieren, Harze und andere Substanzen, darunter auch Hanfsamen, Getreide, Früchte und so weiter – und wohl auch überzählige weibliche Säuglinge, statt sie, wie üblich, lebendig zu vergraben. Jedenfalls war in der Kaaba allezeit dicke Luft und es gab viel Abfall, der jeden Tag beseitigt wurde – der Aufenthalt in der Götterpension wurde ja bezahlt. Hier schlossen dann auch die Mekkaner ihre Abkommen und mehr noch, sie trafen sich in der Kaaba, wie das Ding nun genannt wurde, um von den Opfern gratis zu schmausen und sich ein bisschen zu benebeln, denn der Rauch wirkte beruhigend und auch ein wenig psychodelisch.
Es gab aber eine Gruppe, die sich diesen Bräuchen nicht anschloss, man nannte sie Hanife. Sie waren nach dem Wenigen, das man von ihnen vernehmen kann, eher Philosophen als Verehrer von Göttern. Man duldete sie, weil sie niemandem zur Last waren und auch sonst nicht unangenehm auffielen. Es waren Kaufleute wie alle anderen auch, oder es waren eben Handwerker und was sonst in einer Stadt benötigt wurde, die mehr oder weniger ausschließlich vom Handel lebte, denn Ackerbau ließ sich hier kaum treiben, ein wenig Viehzucht war alles, was der schlecht bewässerte Boden hergab, man gerade dass die Stadt durch den Brunnen Zemzem einigermaßen mit Wasser versorgt werden konnte. Aber immerhin – das bisschen Viehzucht war ausreichend, um einigen Leuten einen bescheidenen Wohlstand zu verschaffen, auf dessen Grundlage sie auch ein bisschen mit Handel trieben. Die Haschemiten waren ein solcher Clan, der zum Stamme der Koraisch eben doch gehörte aber nicht zu den Banu Schams, den Sonnensöhnen, welche zu dieser Zeit das Stadtregiment führten. Unter den Haschemiten aber gab es auch Hanife. Abdallah, der Vater Mohammeds war ein solcher und auch sein Bruder Abu Talib war einer. Abdallah starb früh und hinterließ seine Witwe Amina (er hatte als Hanife nur eine Frau) und seinen neugeborenen Sohn Mohammed. Abu Talib sorgte für den Neffen und seine Mutter und als Amina starb, nahm er den jetzt sechsjährigen Sohn in seine Familie auf und erzog ihn zusammen mit seinem eigenen Sohn Ali ibn Abu Talib. Das bedeutete, dass er erst einmal beide zu den Ziegen schickte – Ali nahm er wieder von dort weg , denn er erhoffte sich, wie alle Väter, ein besseres Leben für seinen Sohn, aber den Mohammed ließ er da, der sollte zufrieden damit sein, ein Dach überm Kopf und ein Auskommen zu haben, denn besonders helle schien er dem Abu Talib nicht zu sein. Aber er sollte sich geirrt haben, Mohammed war ein stilles, schüchternes Kind, aber dumm war er nicht und Talente hatte er auch. Mit seinem Los als Ziegenhirte war er, als er älter wurde, durchaus unzufrieden und bewarb sich um die Arbeit eines Begleiters von Karawanen – ein riskanter Job, denn Karawanen wurden oft und gerne überfallen und ob jemand für den Waisenjungen Mohammed viel Lösegeld geben würde, stand sehr dahin. Gar nicht zu reden von der unmittelbaren Lebensgefahr, denn die Begleiter waren auch verpflichtet zu kämpfen. Aber immerhin – den Ziegengestank war er los.
Mohammed überlebte und nicht nur das – er stieg auch in der Hierarchie der Karawane auf, es stellte sich heraus, dass er ein beträchtliches diplomatisches Geschick besaß und dass er zudem sehr gut kaufmännisch rechnen konnte. Diese Qualitäten empfahlen ihn schließlich seiner Arbeitgeberin Chadidscha – auch sie eine Hanife – als Geschäftsführer und der Geschäftsführer empfahl sich durch sein angenehmes Wesen als Ehemann für die fünfzehn Jahre ältere, aber wohl noch lange nicht verbrauchte Frau – allerdings blieben von ihren Kindern nur die Mädchen am Leben und das hatte ungeahnte Konsequenzen. Denn so sehr die Kollegen ihn als Kaufmann akzeptierten – als Mädchenvater musste er ihren Spott erdulden, denn man kann es drehen und wenden wie man will, Mädchen galten nichts in der arabischen Gesellschaft, gar nichts. Man hätte sie am liebsten abgeschafft, wenn die Männer hätten Kinder gebären können. Ein Mann, der nur Mädchen gezeugt hatte, war in den Augen seiner Zeitgenossen kein richtiger Mann und je besser Mohammed als Kaufmann war, umso weniger sparten seine Kollegen mit Spott, hinter dem sich der Neid wunderbar verbergen ließ. Und Chadidscha? Sie hatte ihr Geschäft – eine Spedition – von ihrem letzten Mann geerbt und da sie es einmal hatte, hatte sie auch allen Versuchen getrotzt, es ihr zu nehmen, an denen es sicher nicht gefehlt hatte, man kennt die Tricks, Vormünder und Ähnliches heißen sie. In Mohammed aber hatte sie Vertrauen – wenn auch nicht unbegrenzt, denn der Ehevertrag band ihm die Hände und gegen Vertragsverstöße hatte auch die Frau ein Klagerecht, wenn sie reich genug war, Männer für sich sprechen zu lassen und Chadidscha war reich und zudem eine Banu Schams, gehörte also der herrschenden Sippe Mekkas an. An die kam man nicht leicht heran, aber an Mohammed wohl und auch das ließ man ihn entgelten. Es ging ihm also gar nicht gut, als er von Chadidscha zu Waraka ibn Naufal geschickt wurde, einem hanifitischen Seelsorger und einem ihrer Verwandten. Der verstand ihn nur zu gut, schließlich war er selbst Araber und zudem Mekkaner und einiges mochte er auch selbst schon mitgehört haben. Aber was soll man tun um einen Menschen vor seiner ganzen Gesellschaft zu retten? Waraka beschloss, ihm erst einmal einen Schutzraum zu verschaffen und trug ihm auf, sich einmal im Monat für einige Tage von der Welt zurück zu ziehen und nur sich selbst und der Betrachtung zu leben – oder sich auch einfach nur auszuruhen. Mohammed befolgte den Rat und zog einmal im Monat zu einer Höhle, die er aus seinen Hirtenjahren kannte, sie befand sich am Berg Hira in der Nähe der Stadt. Dorthin schaffte er, was er brauchte, um jederzeit dorthin fliehen zu können, denn sowohl er als auch Waraka beurteilten die Lage nüchtern: es war eine Flucht.
„Du, der du da liegst“ – mit diesen Worten beginnt der Islam und er beginnt im Traum des Mohammed, als er auf seiner Lagerstatt in der Höhle schläft,. „du, der du da liegst, steh auf und warne… und so geht es weiter. Auch schon zuvor hatte der Engel ihn im Traum besucht und gezwungen, ihm zuzuhören, wenn er schon nicht lesen wollte, was er ihm hinhielt. Aber aufzustehen hatte er ihm bisher nicht befohlen und auch nicht, andere zu warnen. „und gib nicht, um mehr zu erhalten“ – das ist offene Kritik, denn hat er nicht immer gegeben um mehr zu erhalten? „Sondern warte auf deinen Herrn in Geduld“ – ja wie viel Geduld denn noch, hat er nicht schon zu viel ertragen? „Es wird kommen der letzte Tag, für die, die nicht glauben, der furchtbarste Tag“… aber wer glaubt denn schon? Niemand glaubt. Alle die ihn verspotten, ihnen ist dieser furchtbarste der Tage schon vorbereitet. Mohammed beginnt zu ahnen, was von ihm verlangt wird – eine neue Aufgabe, die allen Spott beseitigt, denn was er zu sagen hat, ist über alles menschliche Maß hinaus erhoben, man wird ihn hören müssen, ihn, den Töchtervater, den Verachteten – aber wie soll das zugehen? Hatte der offenbarende Engel aber nicht schon früher von dem Herrn gesprochen, der den Menschen lehrt, was er nicht wusste? Mohammed hat Angst, aber mitten in der Angst keimt auch eine neue Hoffnung, das ganze Leben ist dabei, sich umzukehren, aus dem, der nicht ist, soll der werden, der den Willen des höchsten Gottes verkündet – und wieder hat er furchtbare Angst, denn wird dieser Gott sich nicht seiner, Mohammeds, Armseligkeit schämen? Was, wird man sagen, DER soll uns solche Dinge verkünden? Nein, es geht hinten und vorne nicht, am besten man wäre eine Maus oder eine Spinne und könnte sich in einer Ritze verkriechen, aber wo denn nur, wo sollte das sein, wie kann man ihm entrinnen und seiner Rache für Widerstand?
Wie ein zu Tode erschrockenes Kind stürzt Mohammed zu Chadidscha „birg mich, birg mich“, aber die verliert nicht die Contenance. Als Mohammed wieder in der Lage ist, zusammenhängende Sätze zu sprechen, hört sie zu, dann geht sie zu Waraka und berichtet ihm. Der hört sich alles an und seine – überlieferte – Antwort lässt an Schönheit nichts vermissen: „Bei dem, in dessen Hand Warakas Seele ist“, hebt er an und dann bestätigt er der Chadidscha, dass ihr Mann der Erwählte Gottes ist, wenn das, was er eben gehört hat, stimmt. Töchtervater hin oder her, das hat sich jetzt erledigt, jetzt sind weitaus wichtigere Dinge an der Tagesordnung. Von dieser Stunde an ist Mohammed für seine Frau und für alle, die ihm folgen werden, der Gesandte Gottes bis zum heutigen Tag. Aber während Chadidscha die erste Gläubige wird, wartet Waraka noch ab. Er wird den Islam nie annehmen und er hat gute Gründe. Er ist Hanife und eine Religion zu begründen ist für einen Hanifen geistiger Hochverrat. Aber er spricht auch nicht gegen ihn, denn er weiß: die Araber brauchen diesen Mann. Er wird Ordnung in die Dinge bringen, die ungeordnet sind und deren gibt es viele.
Man möge mir verzeihen, dass ich diese oft erzählte Geschichte noch einmal erzählt und dabei ein wenig erweitert habe, aber jetzt betrachten wir uns einmal einen anderen Aspekt der Sache. Es ist durchaus möglich, dass Waraka dem Mohammed nicht nur gute Ratschläge gegeben hat, sondern auch ein kleines Buch und dieses Buch hat Mohammed dann bis in seine Träume hinein beschäftigt. Denn „Dschibril“ also Gabriel ist nur eine Verschleifung aus einem anderen Namen und das Gesicht, das er überall sah, wohin er auch blickte, war das des „großen Tauma“. Wir brauchen nicht lange zu rätseln, wer das sein sollte, Gabriel war es jedenfalls nicht. Es war die intensive Begegnung eines arabischen Kaufmannes mit der Basisschrift der Gnosis, die den Traum von der Berufung initiierte. Nur – eine Religion hätte nicht daraus werden sollen. Der Koran paraphrasiert in den mekkanischen Suren auch dann und wann einmal dieses Buch. Er zitiert es nirgendwo, aber dennoch ist diese Begegnung wohl kaum zu überschätzen. Die gesamte islamische Mystik der folgenden Jahrhunderte resultiert aus ihr, Mohammeds eigene inbegriffen. Auf der einen Seite hasste und verfolgte der Islam nach Mohammed diese Mystik, auf der anderen Seite kam er aber ohne sie auch nicht aus und endlich rang man sich dazu durch, die Mystik im Islam zu dulden. So entstanden die Sufi – Orden, die bekanntlich bis heute bestehen. Aus der Tradition der Mystik aber entstanden auch andere Bewegungen, ich nenne hier nur die der Bahai, in Teilen gehört aber auch die Ahmadiya und gehören die Aleviten dazu, die alle vom orthodoxen Islam nicht als islamisch anerkannt werden. Sie alle repräsentieren mystische Wege, die vom Islam aus beschritten werden können, wobei die alevitische Religion noch viele Elemente einer weitaus älteren vorderasiatischen Religion in sich aufgenommen und mit einem – schiitischen – Islam verbunden hat. Denn nur im schiitischen Islam sind solche Amalgamierungen möglich. Im sunnitischen Islam hingegen verbieten sie sich von selbst. Man muss gar nicht erst den wahabitischen Islam zu Rate ziehen, um zu begreifen, dass Heilige, Kleriker und dergleichen sich im sunnitischen Islam von selbst erledigt haben.
Die islamische Mystik ist eng mit dem Anliegen der Gnosis (nennen wir sie einmal so) verwandt – mit einer Ausnahme: sie sucht die Gottesnähe, während die Lehre der Chrästen darauf verzichtet, sich irgendeinem Gott zu nähern, vielmehr die eigene Position im Weltganzen sucht und findet. Dies unterscheidet den Islam von allem Anfang an von der Lehre der Hanifen, die eher mit der der Chrästen zu vergleichen wäre, also im Tiefsten nicht antireligiös. sondern areligiös ist, was ihr im Urteil aller Religionen den Vorwurf der Gottlosigkeit eingetragen hat. Dies ist auch der Grund, warum Waraka als Hanife niemals dem Islam beigetreten ist. Die islamische Mystik aber ist nicht gottlos, sondern zutiefst religiös, gerade da, wo sie anscheinend über die Zwanghaftigkeit der Religionen spottet, wie das Omar Chajjam tut . Der Sufi ist über die Äußerlichkeiten der Religion erhaben – dennoch betet auch er zu Allah, was der Chräste niemals tut. Er unterhält sich mit „Gott“ vielmehr als mit seinesgleichen und es gibt für ihn kein Oberes, dessen Unteres er sein könnte. Für den Sufi (abgeleitet von griechisch Sophia = Weisheit) hingegen gibt es ein Oberes.
Sunniten, Schiiten, Wahabiten – was ist aber da los? Warum gibt es so viele Namen im Islam? Es gibt nämlich noch viel mehr, nur den Islam des Propheten, den gibt es nicht mehr, denn er wurde durch die Koranredaktion aus dem Islam vertrieben. Wie das? Gibt der Koran denn nicht das unverfälschte Wort Allahs an die Menschen weiter, so wie Mohammed es getan hat? Nun, Mohammed hat es auch nicht getan und wie ein Hadith meldet, ist ihm zumindest Aïscha drauf gekommen, als sie bemerkt haben soll: „Dein Herr beeilt sich, deinen Wünschen nachzukommen.“ So sieht es denn der gläubige Muslim bis zum heutigen Tage, dass Allah sich beeilt habe, den Wünschen Mohammeds nachzukommen, weil der ja so treu und standhaft war. Der weltliche Blick sieht es freilich anders. Er sieht einen Mann, der bestrebt ist, eine neue Gesellschaft auf der Kultur der vorigen zu errichten und der seine Neuerungen in Gottes Willenserklärungen verpackt und ab und an sind darunter auch ein paar persönliche Desiderate und Anordnungen für den eigenen Haushalt, denn der war mit der Zeit recht umfänglich geworden. Aber wir tun Mohammed Unrecht, wenn wir Allah nur als Etikett für die eigenen Bestrebungen sehen, denn er verleugnet auch nicht die ihm gesetzten Grenzen, wenn er zum Beispiel, erklärt, dass ihm nun keine weiteren Frauen erlaubt wären, nachdem er sich zuerst die Freiheit vom Gebot ausbedungen hat, nur vier Frauen heiraten zu dürfen. Manche wollen darin einen Ausdruck unstillbarer Gier sehen – die Wahrheit ist aber vermutlich eine andere, denn Heiraten waren politischer Bestandteil aller Bündisverhandlungen und Mohammed stand im Begriff, Arabien zu einigen und schloss Bündnisse mit vielen Stammeshäuptern, heiratete viele Töchter. Er verleugnet nicht, dass er kein Wundertäter ist – kühner Bruch mit dem Aberglauben des Volkes, dass ein Gottgesandter immer auch Wunder tun müsse. Er steht dazu, dass er ein Mensch wie alle anderen sei und in allem was nicht die Offenbarungen Allahs betrifft, wohl auch fehlbar sein könnte und auf den Schutz Allahs angewiesen – der ihm dann auch zuteil wurde, am sichtbarsten bei der Belagerung Medinas durch seinen mekkanischen Gegenspieler Abu Sofjan und die Seinen, wenn wir annehmen, dass der sogenannte Grabenkrieg im Sommer stattfand oder zumindest in einer klimatisch stabilen Jahreszeit. Im Winter nämlich sind solche Kälteeinbrüche, wie sie hier beschrieben werden, durchaus möglich, wenn auch nicht die Regel. Das Heer Abu Sofjans, das darauf nicht eingerichtet war, musste umkehren, das Futter verfaulte und die Menschen wurden reihenweise krank und starben, während die Medinenser sich in ihre warmen und trockenen Behausungen zurückziehen und sich angemessen kleiden konnten.
Wer mit Mohammed Frieden haben wollte, musste den Islam annehmen – und das brachte Abu Sofjan erst als Geschlagener wenigstens formal über sich. Der alte Feuertempel in Mekka aber wurde zum zentralen Heiligtum aller Muslime, zu dem sie wenigstens einmal im Leben zu pilgern hatten – so war die wichtigste Einnahmequelle Mekkas gesichert, nur dass die Verehrung jetzt nicht mehr 365 Göttern, sondern allein Allah zukommen sollte. Aber alles um die Hadsch herum verdiente an den Pilgern wie eh und je, auch wenn die Kaaba jetzt keine Pensionatsgebühren mehr bekam.
Den Islam annehmen – das ist eigentlich keine besonders schwierige Sache und so war es auch beabsichtigt, man wollte es Konvertiten nicht schwer machen. Man verlangte aus diesem Grunde auch nicht, wie die Juden, die männliche Beschneidung, sondern allein die Erfüllung der fünf grundlegenden Pflichten: öffentliches Zeugnis, die fünfmalige Andacht am Tage, eine Art Kirchensteuer, die Zakat, aber nur für die Vermögenden, die Wallfahrt nach Mekka mit der Einschränkung: falls man sie sich leisten könne und das Fasten im Ramadan – allerdings nur tagsüber, Kranke, Schwache und Reisende waren vom Fastengebot sowieso ausgenommen. Auch vom Gebet gibt es diverse Ausnahmen und Sonderregeln, denn „Allah will es euch nicht schwer machen“, so der Koran. Ansonsten soll man sich außerhalb des Hauses und im Angesicht von Fremden anständig anziehen, soll kein Schweinefleisch essen, was sowieso der ganze Orient nicht tut und – möglichst – keinen Wein trinken, weil der Wein bei Hitze nicht guttut. Und – man soll sich waschen, ehe man die Andacht abhält, eine Anordnung, die der Gesundheit der Gläubigen sicher zustatten gekommen ist, denn sich fünfmal am Tage zu reinigen war mit Sicherheit von Vorteil für dieselbe. Aber hinter allem steht: wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Letztenendes bleibt der Islam in allem eine Religion der Vernunft – im Gegensatz zum Christentum glaubt er nicht, weil es absurd ist, sondern er glaubt das Absurde nicht. Immer wieder betont der Koran – und auch der Hadith – die Rationalität des Vertrauens in Allah, der seinerseits aber aller Gesetzlichkeit enthoben und, anders als den christliche oder jüdische Gott, vom Menschen nicht erfassbar ist und sich auch gegenüber seinen Vorschriften die Souveränität vorbehält, was der Koran immer wieder beteuert, wenn er sagt: und Allah ist verzeihend und barmherzig. So verzeihend und barmherzig führt ihn auch das Leben Mohammeds vor, das eben nicht tadellos ist, auch gar nicht sein will. Der Hadith macht ihn dann zu jemandem, der er nie gewesen ist: einem Menschen, der immer alles richtig macht. Aber er hat, das sei unbestritten, sein Leben ernster genommen als die meisten seiner Zeitgenossen. Würde heute jemand sein Leben so ernst nehmen wie er, er stünde schnell im Ruf diverser seelischer Störungen. Man würde ihm Depression, Manie, Narzissmus. Sexsucht und was weiß ich noch alles unterstellen. Man würde ihn, der ja kein akademisches Diplom vorzuweisen hatte, schnell von aller Kompetenz in religiösen und auch in sozialen oder rechtlichen Fragen ausschließen, kurzum er hätte in dieser Welt nur noch die Perspektive eines Spinners und bestenfalls einer anmaßenden, weil viel zu selbstsicheren Person. So etwas wie Mohammed mag man heute nicht – man mag demütige Sklavenseelen. Wehe, heute hat einer mit der Sicherheit eine Meinung, die Mohammed eigen war, man würde ihn schlankweg steinigen und vertreiben – was ja bis der Islam sich durchgesetzt hatte, in Mekka auch geschah, also so weit entfernt sind die heutigen Maßstäbe nicht von denen in Mekka zur Zeit der Unwissenheit. Diese Gesellschaft – vielleicht ist sie genau so unwissend, wie die von Mekka im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, nur garniert sie diese Unwissenheit und Unsensibilität mit mehr technischer Raffinesse und Umtriebigkeit. Vielleicht muss man doch, wie Mohammed damals seine Religion heute das Ende der Oberflächlichkeit mit Gewalt durchsetzen? Nun – dazu fehlt uns im Moment noch ein Mohammed – aber vielleicht hockt er schon irgendwo und wartet auf seine Stunde….