24.02.2013

Von der Geburt Ägyptens

Ägypten liegt in der Sahara, sie reicht vom Roten Meer bis an die Küste des atlantischen Ozeans und vom Niger bist an die Küste des Mittelmeeres. Einzig der Nil durchquert im Osten auf einem Stück seines Laufs diese Wüste und seine Überschwemmungen halten in regelmäßigen Abständen die Ufer fruchtbar. Kurz hinter Kairo teilt er sich in ein ausgedehntes Delta. Hier ist die Wüste nicht sichtbar, aber an beiden Ufern des Nil steigen die Dünen in Sichtweite über dem Fruchtland empor. Der Nil besitzt auf seinem Lauf durch die Sahara keine Nebenflüsse, sein Wasser entstammt den Ausflüssen von Seen. Es gibt keine eigentliche Nilquelle – im Süden, in den regenreichen Gebirgen Äthiopiens sowie aus dem Victoriasee in Tansania und Kenia nimmt er seine Fluten. Aus dem Inneren Afrikas fließen dem Victoriasee mehrere Flüsse zu, die den See als Nil verlassen.

Der Nil war auch zu der Zeit bereits vorhanden, als die nordafrikanische Ebene aride wurde, das war begann vor annähernd siebentausend Jahren und fand vor etwa sechstausend Jahren sein vorläufiges Ende – seither aber ist die Wüste ständig weiter nach allen Richtungen vorgerückt, in denen nicht das Meer ihr eine Grenze setzt. Zu der Zeit, da Ägypten geboren wurde, war auch das Land, das wir heute als Wüste sehen und erleben, grün, eine Savannenlandschaft in der sich zwar kein Ackerbau, aber wohl Viehzucht betreiben ließ. Am Nil aber wohnten seit alters bereits Menschen, die vielleicht schon von Ackerbau,  aber  mehr noch von Jagd und Fischfang lebten, denn die Savanne war wildreich und der Fluss voller Fische. Über diese brach also die Einwanderung aus dem immer arideren Westen herein, welche die Geburt Ägyptens einleitete.

Ägypten ist, das muss immer wieder betont werden, ein afrikanisches Land und die Ägypter sind ein afrikanisches Volk. Angesichts der Hochkultur, die sie schufen und des Einflusses, den diese auf Europa hatte, wird das immer wieder gern vergessen. Es flohen auch nicht alle Bewohner der nordafrikanischen Landschaft vor der Wüste nach dem Niltal. Einige flohen zum Niger nach Süden, andere in die Berge des Atlas im Nordwesten und zu den Küsten des Mittelmeers, wieder andere blieben im Westen an der Küste des Atlantischen Ozeans und versuchten dort den Unbilden des Klimas zu trotzen. Die Hauptmasse aber kam anscheinend zu den Stammesverwandten ins Niltal und – bildete mitnichten bereits Ägypten. Über ein Jahrtausend lebten sie als stammverwandte Sippen mehr oder weniger willkommen in dörflichen Siedlungen und erst allmählich bildeten sich zusammenhängende größere Territorien um einige Häuptlingssitze aus. Es ist nachgewiesen, dass diese Kulturen bereits Ackerfrüchte kannten und Keramik herstellten – im Niltal ein gewagtes Unterfangen, da es dort kaum brauchbare Tonvorkommen gibt. Dafür gibt es Steine in Menge und so begannen sie, diese Steine zu Gefäßen zu bearbeiten und entwickelten eine hohe Fertigkeit darin. Da es nicht mehr genug Jagdwild gab um sich in Leder und Felle zu kleiden, begannen sie damit, Faserpflanzen zu nutzen… tausend Jahre sind eine lange Zeit um den Umgang mit ihnen zu lernen. Ihre Wohnstätten waren einfach, es waren Erdhütten wie sie es aus ihrer alten Heimat gewohnt waren, mit zugehörigen Vorratsspeichern. Man hat ihre Überreste ausgegraben und dabei gefunden, dass die Siedlungen regelmäßig angelegt waren, auch dies, wie Felszeichnungen belegen, ein Erbe aus ihrer verlorenen Heimat.

Denn ehe sie fortzogen bildeten sie ihr Leben auf Felswänden ab, damit sie in dem Land, das sie verließen, nicht vergessen wären und ihre Toten zogen seither in den „Schönen Westen“ der nur noch im Reich der Toten existierte. Das war dann schon ein Stück Ägypten, das sie da schufen. Ihr Jenseits war und das bis in die Tage der Römer, kein Paradies, sondern das Land, das vorher gewesen war, in dem gearbeitet wurde und gefeiert wie sie es einst dort getan hatten, wo nun nur noch die Wüstengeister umgingen. Aber auf den Felszeichnungen kann man noch heute Figuren finden, in denen man den Kanon der ägyptischen Darstellungsweise wiederfindet: den Körper in Vorderansicht, das Gesicht aber im Profil.

Aber nicht nur ihre Kunst brachten sie ins Niltal, sondern auch ihre Gesellschaftsordnung. Man muss nur genau hinschauen, dann erkennt man sie im Leben des alten Ägypten wieder. Sie waren Afrikaner, also spielten die Frauen eine große Rolle im der Organisation des Lebens, da sie es waren, die das Leben gaben und dies ist beinahe allgemein afrikanisch. Dem Mann obliegen die Pflichten des Jägers und Kriegers – die Frauen halten die zivile Ordnung aufrecht und regeln alles, was außer Jagd und Krieg noch zu regeln ist – auch den Verkehr mit den „höheren Mächten“, was sich auf die jeweiligen Sippen- und Clangötter bezieht. Mit der Zeit verflachte diese Bindung, aber bis in die Spätzeit steht die Priesterin neben dem Priester, die Heilerin neben dem Heiler – nur mit der Königin neben dem König hatte es eine besondere Bewandtnis, denn wenn der König alt wurde, hatte er zu sterben, damit er nicht durch Fehler die Wohlfahrt des Stammes gefährde. Irgendeiner Königin gefiel das nicht mehr und so wurde das Ritual des Heb Sed erfunden in dem der König  nur noch rituell starb und auferstand um mit erneuerter Jugend weiter zu regieren. Damit war dem Herkommen Genüge getan und zugleich etwas Neues auf den Weg gebracht – auf dieselbe Weise sollte sich die ägyptische Gesellschaft immer wieder reformieren und neu positionieren. Ägyptische Revolutionen waren leise und behutsam, quasi evolutionär, denn laute und opferreiche Aktionen konnte man sich nicht leisten – man hatte niemals Überschuss an Menschenleben.

Aber auch dies war noch nicht die Geburt Ägyptens – es waren nur die Vorbedingungen, unter denen so etwas wie Ägypten entstehen konnte. Das bedeutet, dass die grundlegenden ägyptischen Gepflogenheiten bereits bestanden, als Ägypten noch gar nicht Ägypten war. Die Fetische wurden in der dritten Dynastie zu Provinzgöttern, die Häuptlinge zu Königen und die Königinnen zu Großen königlichen Gemahlinnen, die nicht nur im Hintergrund herrschten, sondern zumindest im Alten Reich auch die Herrschaftsrechte weitergaben – an den Schwiegersohn eines ihrer Töchter und die auch wieder und so fort… erst die Hungerperiode, der Zusammenbruch des Alten Reiches,  machte diesem Verfahren ein Ende und den Sohn zum Erben. Aber immer wieder wurde versucht, das alte Prinzip in irgendeiner Weise weiter zu führen, von Chentkaus I bis zu Kleopatra VII. Zwar trat es in den Hintergrund aber, gut ägyptisch, blieb es stets auch präsent und sei es als pure Option. Sie blieben  meist unsichtbar, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen,  aber sie hatten in allem ein Wörtchen und oft mehr als ein solches, mitzureden. Erinnert sei an die Furcht, die ein König namens Chufu  ( besser bekannt als Cheops) vor dem Zorn seiner Mutter Hetep Heres hatte, als er erfuhr, dass deren Grabausstattung „irgendwie“ abhanden gekommen wäre.  Für das Alte Reich galt dies unumschränkt, erst im Mittleren und dann im Neuen Reich wurde es immer tiefer verborgen und – gestehen wir es ruhig zu – auch verleugnet, aber immer wieder treffen wir auf die großen Frauen, die die Fäden ziehen, mögen sie nun Ahmose Tascheret oder Teje oder Nefertari heißen, ich rede hier mit Absicht nicht von Hatschepsut oder Nofretete oder gar Kleopatra VII mit der das alte Ägypten als Staat erlischt.

Ägypten wurde, das wissen wir, geboren, als  aus vielen die beiden letztverbliebenen Reiche in einem Krieg der Oberägypter gegen den Norden vereinigt wurden und es währte noch weitere Jahrhunderte bis die  Einheit auch im Geiste (für unsern Zürcher Rolf, da er das Wort Geist nicht versteht, hier verdolmetscht: Gespenst) vollzogen war – aber was da geboren wurde, war durch ein Jahrtausend vorbereitet worden und begründet so dass es alles, was danach kam. integrieren konnte  – Atlantider waren nicht nötig, um Ägypten zu erschaffen, das konnten die Ägypter alleine und man kann noch in seinen letzten Tagen die Spuren des Beginns erkennen – zum Beispiel in der Ehe zwischen Bruder und Schwester. Im Alten Reich wurde der künftige König als Bruder der leiblichen Königskinder am Hof erzogen – er war hingegen nicht leiblich, aber er galt dafür und so heiratete der Bruder die Schwester um Nachfolger seines Schwiegervaters zu werden. Die Griechen verstanden das wie alles Ägyptische nicht, aber wie war das, entledigte sich Kleopatra nicht ihre männlichen Geschwister, die sie hatte heiraten müssen? Wir wissen, dass sie in ägyptischer Kultur durchaus bewandert war. Sie wollte herrschen wie die alten Königinnen, ihre Brüder und deren griechischer Klüngel hinderten sie daran. Manche Forscher vermuten, sie wäre durch ihre Mutter eine Nachfahrin des letzten ägyptischen Königs, des Nektanebos II gewesen – das ist, wenn auch nicht mehr zu beweisen, doch auch nicht von der Hand zu weisen. Es belegt in den letzten Tagen des Staates noch, dass Ägypten auch von dreihundert Jahren griechischer Besatzung nicht totzukriegen gewesen ist. Hatte Kleopatra nicht vorgehabt, ihr altes Reich mit der neuen Weltmacht Rom zu vereinen, statt sich der neuen Macht zu unterwerfen? Gewann sie nicht den großen Caesar für diese Idee? Man soll ja nicht fragen, was wäre wenn – aber hätte die Geschichte Europas nicht einen anderen Weg genommen, wäre ihr das geglückt? Wäre nicht ein ganz anderer Geist aus dieser Vereinigung erwachsen? Einer, der in den Stürmen der Völkerwanderung nicht untergehen würde? Man soll nicht fragen, aber manchmal erliegt man der Versuchung doch.

 

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