20.02.2013

Atheisten und Renegaten

Ich bin selbst nicht gläubig, aber weder Atheist, noch Renegat. Daher erscheint es mir manchmal geradezu skurril, welche Bilder sowohl geborene Atheisten als auch gewordene Renegaten insbesondere vom Christentum haben. Insbesondere stechen hier jene hervor, die sich selbst Brights = Strahlende nennen. Die finstersten Vorstellungen von dem, was Christentum sei, finden sich an dieser Stelle. Nun gut, je finsterer sie das Christentum malen, umso heller kann ihr Stern erstrahlen, das ist mir schon klar. Aber kommt es ihnen, den Brights meine ich, nicht gerade auf Gerechtigkeit und Angemessenheit und Urteilsfähigkeit an?

Offensichtlich nicht, denn wenn man ihre Vorstellungen vom christlichen Leben hört, dann besteht Christsein nur aus Beten, Kasteien und allenfalls noch Missbrauchen. Dass der Ursprung des Christentums bereits ein Irrtum war, steht zwar fest, wird aber von ihnen selten als Argument gegen dasselbe gebraucht. Sie übernehmen kritiklos die traditionelle christliche Lesart und statt da zu forschen, wo diese Forschung wirklich etwas ergeben könnte, wenden sie sich gegen tausend teilweise recht exotische Randerscheinungen.

Ein echter Atheist – und ich kenne deren etliche – hängt sich an dergleichen aber nicht auf, sondern für ihn ist Religion in jeder Weise zunächst einmal Exotik. Dann aber unterscheidet er scharf zwischen dem historischen Bild und der aktuellen Situation und hält den konkreten Gläubigen getrennt vom geschichtlichen Erscheinungsbild der religiösen Gruppierung, der er angehört. Daran, ob ein Atheist diese Freiheit besitzt oder nicht, kann man leicht zwischen ihm und einem Renegaten unterscheiden.

Denn ein Renegat hat eine persönlichen Grimm auf die Institution der er abgesagt hat. Daher ist ihm alles recht und kommt ihm alles gelegen, was er an Negativem ergattern kann. Er hat Vollkommenheit in dieser Religion gesucht und er hat sie – wie auch anders – nicht gefunden, denn unter Menschen kann es nichts Vollkommenes geben. Diese überzogenen und daher nicht zu befriedigenden Bedürfnisse meint er nun einklagen zu sollen, indem er die konkrete Religion nach allen Regeln der Kunst schlecht zu machen sucht und er wird  – natürlich – auch immer fündig. So kommt es zustande, dass er die Fehler der konkreten Religion mit Eifer offenlegt und lägen sie auch Jahrhunderte zurück. Umso lieber noch legt er gegenwärtige Verfehlungen offen, die er stets finden wird, denn je nach Konzept der entsprechenden Religion gibt es keine einzige, die gegen solche Verfehlungen gefeit wäre: bei den Katholiken ist es der Zölibat, der zu ethischen Verwerfungen führen kann, im Islam ist es der „Heilige Krieg“ und ist es die zeitbedingte Haltung zur Frauenfrage, die natürlich heute längst anachronistisch geworden ist. Aber auch an allen anderen Religionen der Gegenwart wird er mit staunenswerter Präzision die Haare in der Suppe finden, denn er braucht sie zur Rechtfertigung seines Renegatendaseins.

Der echte Atheist übersieht die Fehler einer konkreten Religion niemals – aber er wird ihretwegen auch nicht in Hass und Zorn geraten, denn er weiß um die Fehlbarkeit aller menschlichen Unternehmungen und so ist er im besten Sinne areligiös indem er sich gegen nichts wendet, gegen nichts kämpft, sondern nur eine Trennung zwischen der eigenen Sicht der Dinge und der fremden bestehen lässt – sine ira et studio. Für ihn ist alle Religion seltsam und unverständlich und geht von Voraussetzungen aus, die er nicht nachvollziehen kann. Für ihn bedeutet diese Welt alles, was existiert und darüber hinaus gibt es für ihn nichts, was es wert wäre, darüber nachzusinnen – also sind Religionen per se im Irrtum über die Existenz des Menschen – wenigstens für ihn. Das Leben beginnt mit der Zeugung und endet für ihn mit dem Tod und es gibt weder ein Davor noch ein Danach für ihn. Gläubige mögen aus ihrer Überzeugung inneren Frieden für sich gewinnen, er findet ihn in seiner eigenen Ausweglosigkeit ebenfalls, weil er gar keinen Ausweg sucht. Er ist es zufrieden, an dieser Welt und in dieser Welt beheimatet zu sein und er wird einem Andern dessen andere Überzeugung weder vorwerfen noch schlecht zu machen suchen.

Der Renegat aber „hängt“ sich an allem auf, was er irgend finden kann, um eben dies zu tun. Dabei wird natürlich das Bild einer beliebigen Religion meist verzerrt wahrgenommen und von Toleranz seinerseits kann keine Rede sein. Denn die erlittene Enttäuschung schmerzt und die Einsicht, dass die eigenen Vorstellungen ihm einen Streich gespielt haben, kann nicht gewonnen werden. Wehe, eine Religion entpuppt sich dann als sich wandelndes ideologisches Konzept, was ein normaler Prozess in jeder beliebigen Ideologie ist. Jede Wandlung wird ihr als Versagen vorgeworfen. Und wehe, ihre Gläubigen entfernen sich auch nur um Millimeter von ihrem Ideal – das gilt als Unglaubwürdigkeit, obgleich es in Wahrheit der natürliche und normale Stand aller Dinge ist, denn das Leben solcher Konzepte liegt in ihrer Veränderlichkeit. Ein Beispiel: weil der Islam sich konzeptionell nicht verändern kann, verfällt er in Islamismus. Das Judentum ist dieser Gefahr mit knapper Not entgangen, weil es zumindest in Teilen neue Wege gefunden hat. Das Christentum aber verändert sich fortwährend, kann dies tun, weil ihm keinerlei Gesetzlichkeit innewohnt, sondern es in allen diesen Dingen mit der „Welt“ gehen kann. Das bringt Risiken und Fehlentwicklungen mit sich, aber auch Chancen und Hoffnungen. Aber dem Renegaten gefällt natürlich gerade dies nicht. Für ihn muss eine Religion vollkommen sein und das von Anfang an – was unmöglich ist, Wille Gottes hin oder her, denn der Wille Gottes ist stets der Wille von Menschen in einer bestimmten konkreten Situation. Wie diese sich verändert, so auch die Religion, die aus dieser Situation erwachsen ist. Der Renegat aber kann dies nicht sehen, weil ihm die persönliche Distanz zum Objekt fehlt. So wird er zum Wüterich. So wird er zum Bright und kommt sich dabei noch wer weiß wie progressiv vor – in Wahrheit aber ist er nur laut und letztenendes auch langweilig, denn alles wiederholt sich in Abständen immer wieder, man weiß, was man von seinem persönlichen Hass zu erwarten hat: die Revolte gegen das Normale. Der Renegat will alles so heiß essen wie es gekocht wurde und er ist dem Glauben gram, weil er seine Angebote auf konsumierbare Temperatur herabkühlt, ehe er sie serviert. Der Renegat besteht auf dem einzig wahren Glauben. weil er den genau gesucht und nicht gefunden hat. Er wird ihn nie finden, darin besteht sein Dilemma. Jeder „Stoff“ den ein solch Süchtiger findet, wird der falsche sein, zuletzt gar das Renegatentum selbst. Es hält ihn eine Weile bei Laune und in Trab, aber zuletzt erschöpft es sich an den eigenen Wiederholungen des immer Gleichen und der ständige Schaum, den ein Renegat vor dem Mund hat, erweist sich zuletzt als ätzend und vernichtet die eigenen Sprechwerkzeuge. Die großen Kampagnen schlagen fehl, weil sich kein  Gläubiger für sie interessiert. Ein paar unsichere Kantonisten treten aus ihren Kirchen aus, aber das war es dann auch schon. Hingegen werden die Religionen durch ihre Renegaten gestärkt, denn die machen ihnen klar, wo ihre Schwachstellen liegen und das ist meist sehr nützlich für sie.

So betrachtet sind echte Atheisten ein Unglück für Religionen, Renegaten hingegen ein Segen. Und da die christliche Religion Renegaten en masse besitzt kann man ihr angesichts dessen nur ein langes und glückliches und vor allem ein gesundes Leben wünschen… auch wenn man selbst wünscht, dass es anders wäre, aber die Menschheit ist wohl insgesamt noch nicht so weit, auf Religion im Ganzen freudig und friedlich zu verzichten.

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