Wirklichkeit ist alles – es gibt nichts Unwirkliches. Wirklichkeit ist umfassend und dabei jederzeit veränderlich und selbst der absichtliche Betrug ist eine Wirklichkeit, selbst die halluzinogene Täuschung ist auf sich allein gestellt eine Wirklichkeit. Denn Wirklichkeit hat unzählige Gesichter, die sich aneinander reiben, einander ergänzen und unterscheiden, einander bestätigen und widerlegen, Neues schaffen und Altes wiederbringen, Lebendiges tot erscheinen lassen und Totes lebendig – und von keinem Ding, von keinem Phänomen können wir sagen, dass es nicht wirklich wäre. Man kann Wirklichkeit nicht kartographieren, obgleich es Dutzende von solchen „Landkarten“ gibt – sie alle geben Ausschnitte derselben wieder, denen man so gut zustimmen wie widersprechen kann und für alles gibt es gute Gründe.
Wie aber kommt das zustande, dass wir Wirkliches und Unwirkliches unterscheiden? Es kommt durch unsere eigenen inneren und äußeren Koordinaten zustande, zu denen Manches passt, anderes hingegen nicht. Was nicht passt, pflegen wir als unwirklich zu bezeichnen, aber diese Bezeichnung passt nur für uns selbst und für diejenigen, die sich auf derselben Wahrnehmungsebene wie wir befinden. Alles, was nicht auf dieser Ebene der Wahrnehmung liegt, bezeichnen wir gemeinhin als nicht wirklich – ungeachtet der Tatsache, dass es auf einer anderen durchaus wirklich und wenigstens teilweise auch wirksam ist. Alle scheinbaren „Wundertaten“ basieren auf der Möglichkeit, zwischen den Wirklichkeiten zu „kreuzen“ und diese Möglichkeit hat jeder Mensch in dem Maße, wie sie ihm bewusst ist. Bewusst ist sie ihm auch dann, wenn er der Überzeugung ist, dass dies eine „göttliche Gabe“ wäre, denn der Gott, der sie gibt, ist er selbst und der ist existent, der Mensch glaube an ihn oder nicht. Lediglich in krisenhaften Momenten kann es geschehen, dass der Gott autonom handelt und der Mensch dabei nur Zuschauer ist… der Moment geht vorüber, aber er macht den Menschen nicht wissend. Er wundert sich nur darüber, was er gekonnt hat. Aber solche Momente sind vergleichsweise sehr selten. Will man sie wiederholen, stößt man recht schnell auf elementare Hindernisse – manche werden um solcher Hindernisse willen dann zu Betrügern. Sie behaupten dann, mit „höheren Welten“ umzugehen… ach wie gut, dass niemand weiß… nun, manchmal weiß eben doch einer was es damit auf sich hat, etwas Großes erlebt und nicht begriffen zu haben. Man lasse diese sich ungerufen in unser Leben einmischenden Wirklichkeiten ihr Werk tun, freue sich dessen und lebe desungeachtet seinen Tag weiter, denn was einem da zu Kopfe steigen will, ist meist von Übel. Nicht „ich kann“, sondern in höchster Not hat das eingegriffen, was ich zwar begreifen könnte, aber nicht begreifen will. So gilt das für die meisten Menschen.
Nur für einige, wenige gilt es nicht. Nämlich für jene nicht, die sich bewusst auf den Weg machen, Wirklichkeit zu ergründen – ein aussichtsloses Unterfangen? Mitnichten. Denn in uns selbst ist alle Wirklichkeit zugegen und wird begriffen in dem Moment, da wir uns selbst erkennen, da wir wissen, nicht wer, sondern was wir sind. Wer wir sind ist ganz und gar unwichtig. In unserer eigenen Wirklichkeit aber erkennen wir wie in einem Spiegel die ganze Wirklichkeit, die uns erfüllt, umgibt, hegt und pflegt und das ohne jede Zeitbegrenzung. Es gibt nichts, was wir fürchten müssten, am wenigsten den Tod, denn er bringt uns nur zurück dorthin, wo wir waren, ehe wir Menschen wurden. Auch der Tod ist wirklich – als Begrenzung unserer materiellen Möglichkeiten. Aber wer sich selbst erkannt hat, wer weiß, was er ist, geht durch den Tod hindurch, er „schmeckt ihn nicht“. Das bedeutet nicht, dass das Sterben als solches leichter wird, es kann desungeachtet schwer und schmerzlich werden – aber an seinem Ende steht eben nicht das Nichts, nicht das Verlöschen. Gewiss – der Leib hängt am irdischen Leben und er kämpft darum, wir wollen es oder wollen es nicht, das gilt es, auszuhalten und zuzusehen, wohin die Waage sich neigt, welches Maß des Wirklichen uns bevorsteht. Aber auch im Tod sind wir von der Wirklichkeit nicht verlassen, es gibt nichts Unmögliches, sagt man, aber das, von der Wirklichkeit verlassen zu sein, ist unmöglich – allenfalls kann es geschehen, dass wir uns in unsrer eigenen Wirklichkeit festhängen und verhaken wie das in der Geisteskrankheit geschieht.
Denn auch diese ist eine Ebene des Wirklichen. Sie stellt das Leben des Kranken dar, verwirklicht es, macht es lebbar. Sein Inneres kehrt sich nach Außen und geht mit dem gegebenen Außen eine mehr oder minder skurrile Verbindung ein. Alle Gedanken, alle Gefühle und alle Gesichte des Kranken sind wirklich – und wenn sie es auch nur für ihn sind. Wenn man ergründet, wie es und warum es dazu kommt, ist man der Möglichkeit, die Stränge wieder zu entflechten, einen großen Schritt näher gekommen, aber man lasse sich nicht täuschen: die hirnphysiologischen Veränderungen bei Geisteskranken sind ebenso gut Folgeerscheinungen der Aberration, wie sie ursächlich sein können, es weiß heute niemand mit Bestimmtheit zu sagen, ob es eines oder das Andere sei. Denn wir wissen, dass unser Gehirn für existenziell wichtige „Erfolgsmodelle“ Routinen anlegt und diese Routinen sind diagnostisch erkennbar, das Erfolgsmodell auf das sie zielen, hingegen nicht oder zumindest nicht im ersten Moment. Fassbar ist das Erfolgsmodell ganz gut bei der Suchtkrankheit: hier wird ganz klar eine Routine angelegt, die dem Menschen erlauben soll, bestimmte Defizite auszugleichen – leider aber ist es die falsche Methode, auch wenn sie kurzzeitig zum gewünschten Ergebnis führen mag. Im Falle einer signifikanten Geisteskrankheit ist es schwieriger, das gemeinte Erfolgsmodell zu erkennen und oft wird es nicht einmal versucht, weil es so schwierig ist. Man beschränkt sich darauf, die Krankheit hirnphysiologisch einzudämmen, denn dem Erkrankten sofern er darunter leidet, hilft auch dies. Sofern er darunter leidet… und das kommt oft genug vor, dass das vormalige Erfolgsmodell zum Quell dauernder Unannehmlichkeiten wird. Aber es lässt sich, wie man sieht, nicht einfach ändern, denn Wirklichkeit ist stabil – als solche und in uns als den Herren unserer Wirklichkeit, die wir potentiell alle sind, erst recht. Wir haben diese Erfolgsmodelle irgendwann angelegt, und es läge theoretisch an uns, sie zurück zu nehmen – aber dann müssten wir ein anderer sein als der, welcher sie anlegte. Wir müssten uns selbst „in der Hand haben“, wie die Erkenntnis diesen Zustand nennt, aber just die Erkrankung die wir haben, die ja eigentlich gar keine ist und deshalb ist sie auch unheilbar, hindert uns daran. So entsteht ein Teufelskreis in dem unsere Dämonen ihr Spiel mit uns treiben können, denn wie alles so hat auch die Wirklichkeit des Kranken zwei Seiten – eine die lächelt und eine die droht.
Diese drohende Wirklichkeit kommt uns am nächsten, wenn wir Gespenstergeschichten hören oder, wie eben jetzt, verfilmt sehen. Warum eigentlich? Es gibt doch in Wahrheit nichts Friedlicheres als ein Gespenst? Es ist ein Fremdling in unserer Wirklichkeit und entsprechend unbeholfen und falls es uns wahrnehmen kann, was nicht sicher ist, hat es wohl ebenso viel Angst vor uns wie wir vor ihm. Aufgrund der verschiedenen Wirklichkeiten, in denen das eine wie das Andere leben, die einzige Verbindung zwischen beiden ist der jeweilige Anteil an der geistigen Wirklichkeit, kann eines das Andere nicht berühren noch ihm anderen Schaden tun, man kann einander bestenfalls sehen oder auch nur hören und wer nicht an Gespenster glaubt, dem ist nur noch keines begegnet, behaupte ich. Solche Irrläufer zwischen den Dimensionen gibt es zuhauf. Aber nicht alle Menschen können ihre Existenz wahrnehmen – man braucht hierfür schon eine gewisse Dünnhäutigkeit. Ich muss immer herzlich lachen, wenn man Gespenstern mit elektronischen Fallen zu Leibe rücken will – was hat denn ein Gespenst als Teil der umfassenden Wirklichkeit, mit Elektronik zu tun, die ein Sonderfall der universalen Wirklichkeit ist? Gar nichts. Man könnte ihm einen Detektor geradewegs in den Bauch rammen, es würde sich nicht das Geringste ereignen. Nur wir, da wir der gleichen Wirklichkeit angehören wie das Gespenst, könnten, falls wir dünnhäutig genug sind, etwas merken. Darum, so behaupte ich, sind die sogenannten Skeptiker den Gespenstern derart hinterdrein – weil sie es nicht ertragen können, ein solches Defizit zu haben und sie helfen sich mit dem, was sie gewohnt sind – und heimsen einen Misserfolg nach dem andern ein, denn auf diese Art sind diese Vögel eben nicht zu fangen.
Was aber ist dafür verantwortlich, wenn Menschen sozusagen den Ausgang nicht mehr finden? Wenn sie, wiewohl materiell und biologisch so tot wie sie nur sein können, das, was sie sonst im unendlich Wirklichen wären, innerhalb der Materie sind? Es gibt dafür keine alles und alle zufrieden stellende Antwort. Es gibt, da man sie nicht befragen kann oder im andern Falle will, nur Vermutungen. War ihr Abschied zu schwer oder ihre Anhaftung an diese Sphäre zu groß? Hält ein Bewusstsein des Unrechts, erfahren oder angetan, ihren Fuß zurück? Oder treffen ihre Vorstellungen von einem Abschied nicht mit dem zusammen, was sich in Wahrheit nach dem Tode begibt? Man weiß es nicht. Man weiß nur, dass es geschehen ist und immer wieder geschieht und geschehen wird. Denn die Wesen, die uns als Gespenster beehren, sind unsterblich – ganz so wie wir auch, aber auf eine andere Weise. Sie haben es schon hinter sich, wir noch vor uns.
Die Wirklichkeit hält eine Menge an Lebensformen bereit, mehr als wir uns vorstellen können und nicht jede dieser Lebensformen ist gespenstisch zu nennen. Sofern sie sich in ihrer eigenen Ebene bewegen sind es mitunter recht umgängliche Wesen die indes, gereizt, schon zu regelrechten Teufeln und Dämonen werden können; manchmal ist es reine Unwissenheit und Taperigkeit Fremder, die sie zum Ausrasten bringt. Manche aber können mit ihren schrecklichen Gesicht auch zur Klarheit helfen, wie ich es in einer Spielszene vor Jahren erlebte. Denn außer ihrer ungewöhnlichen Gestalt ist nichts Schrecken Erregendes an ihnen. Und sie sind absolut wirklich, mit Verstand und Gefühl begabt sowie mit Erinnerung. Von etlichen weiß ich mich der alten Zeiten wegen geliebt, von anderen zumindest respektiert, nur von wenigen gefürchtet und verachtet von niemandem – außer von dem unwissenden Pack auf Erden, das lieber selbst das sein will, was ich nun einmal bin. Zudem störe ich sie beim Mistmachen. Aber wie gesagt, das sind nur wenige. In den meisten Fällen sind meine Begegnungen mit der Wirklichkeit befriedigend. Aber das mag Anderen durchaus anders gehen.
Wirklichkeit ist umfassend, Unwirkliches gibt es nicht, was uns so erscheint, passt nur nicht zu der Qualität von Wirklichkeit in der wir uns bewegen. Wirklichkeit wird geschaffen durch die Wirklichen, die unendlich ohne Zeit und Raum das Wirkliche immer weiter ins Seiende hinein treiben, in das große A Priori, das entstand, als alles seinen Anfang nahm, als sich das Innerste des Seins nach außen kehrte und Gestalt anzunehmen begann, klein und leise zuerst, dann immer lauter und immer mehr und größer. Nein, es war nicht immer so wie es jetzt ist und es wird auch wieder anders sein, nur den Weg zurück, den gibt es nicht, denn hinter uns sind nur Erinnerungen an etwas das da war und das alles schon enthielt und bei diesen Erinnerungen können wir uns erholen, aber dort können wir nichts tun. Alle Wirklichkeit war in einem einzigen Sein, das sich in zweien offenbarte weil es lebendig war und den Kinderkleidern entwuchs. Aber die Wirklichkeit ist nicht symmetrisch, sie ist ein Schaukelspiel zwischen allen möglichen Verhältnissen, das sich selbst in Balance hält durch seine Allgegenwart. Wirklichkeit kann nicht fallen, kann nicht untergehen, denn jedes lebende Wesen setzt sie fort und treibt sie weiter in etwas hinein und zu etwas hin, das noch niemand kennt, das aber mit jener Tat entstand und seither ist. Niemand hat es je ausgemessen und es ist auch fraglich ob jemand das je können wird. Wir können es nur annehmen wie es ist und uns darin so wohl fühlen, wie wir vermögen – Leute mit Agoraphobie haben da allerdings schlechte Karten. denn es ist nicht zu fassen, es ist nicht zu halten und wer nicht aus sich allein steht, der fällt wieder und wieder, bis er endlich steht. Alles kann sein in der Wirklichkeit und was noch sein wird, niemand weiß es zu sagen. Nur dieses weiß man und das sollte uns allen Trost geben: die Wirklichkeit ist kein Moloch, sondern uns so verwandt wie sonst nichts uns verwandt sein kann, oder alles zusammen…