6.09.2012

Esclarmonde oder: wie man eine Frau ausgräbt

Inhalt

Die eine Nacht 1

Fanjeaux. 2

Geht zu Eurem Spinnrocken… 5

Der zerbrochene Krug. 6

 

 

Die eine Nacht

Eigentlich starb sie ja nur vor Langerweile, die Hohe Frau von Foix, auf ihrer Burg in Dun Ariége im Einzugsbereich der provençalischen Pyrenäen. Seit ihr Ehemann Jourdain gestorben war, war nichts mehr los hier oben, keine Turniere, keine Sängerwettstreite, keine ausgedehnten Feste, selten mal dass sich ein Reisender in dieses abgelegene Tal verirrte. Die Kinder waren aus dem Haus, die Verwandten weit verstreut verheiratet,, kurzum es fehlte auch das Kinderlachen und von den wenigen Gesprächen mit durchziehenden Bonshommes konnte man nicht leben. In der Tat, Esclarmonde langweilte sich halb zu Tode und fühlte sich mit ihren neunundvierzig Jahren doch noch nicht alt. Die Bücher waren längst mehrfach durchgelesen, jedes Band bestickt und jedes Wäschestück geflickt, aber es gab  niemanden mehr, der ein neues Hemd brauchte oder ein neues Wams oder gar einen neuen Mantel und wann brauchte sie schon ein neues Kleid, wenn die Gelegenheit fehlte, die alten aufzutragen. Auch der Webstuhl hatte also Pause, denn Bettwäsche und Tischtücher gab es reichlich in ihren Truhen, die Fenster waren durch Wollvorhänge gut vor der Winterkälte geschützt und auf dem Boden lagen dicke Matten aus Ried, die nicht nur jeden Schritt dämpften, sondern die Kemenate auch einigermaßen fußwarm hielten. Da Esclarmonde es nicht anders kannte, fühlte sie sich wohl und manchmal machte sie Musik, einfach so, sie spielte was ihr gerade einfiel.

Materiell hatte sie sich nicht zu beklagen, Jourdain hatte ihr, zu ihrem Erbteil als Gräfin von Foix, auch noch ein stattliches Witwengut hinterlassen, wozu er nicht verpflichtet gewesen war, er hatte es aus Liebe und Achtung getan. Mehrere Dörfer rundum leisteten ihre Überschüsse an ihren Witwensitz und von denen ging nur ein Bruchteil nach Carcassonne, wo die Trencavel saßen, ihre Verwandten mütterlicherseits, und das Languedoc so gut es ging regierten. Sie regierten strenggenommen nur auf dem Lande, die Städte, reich und schön, verwalteten sich selber. Der liebe Bruder ließ auch nichts von sich hören, der trieb sich lieber am Hof der Trencavel und überall da herum, wo die Becher fröhlicher klangen als hier bei der Schwester. Sie aß gut, sie trank gut, sie kleidete sich gut und sie schlief gut und das sollte nun das ganze Leben gewesen sein? Wozu, fragte sie sich, hatten ihre Eltern ihr den Namen Esclarmonde, Licht der Welt, gegeben, wenn dieses Licht hier trübe vor sich hin blakte?

So also oder so ungefähr mag es in Esclarmonde ausgesehen haben, als sie um das Jahr 1200 auf ihrer Burg alleine wirtschaftete. Aber sie war eine Foix und eine halbe Trencavel und die Haltung der Hocharistokratin lag ihr im Blut und noch etwas Anderes lag dort: die Foix sowohl wie auch die Trencavel waren Credentes, assoziierte Mitglieder der katharischen Kirche, zwar ohne Rechte, aber durch einen Vertrag an dieselbe gebunden, der ihnen auf dem Sterbebett das consolamentum versprach und damit das ewige Leben. Wenn es zum Sterben ging, würden sich zwei Bonshommes aufmachen und, einer als Zeuge am Fuß des Bettes, einer als Vollziehender, den Stab mit dem eingerollten Evangelium des Jüngers, den Jesus liebte auf die Schulter legen und war sie nicht mehr in der Lage zu sprechen, würde der Zeuge für sie das feierliche Versprechen abgeben, das sie für immer an die katharische Gemeinschaft band. Bis dahin bestand ihre Pflicht in nichts anderem als durchreisende Bonshommes mit Nachtlager und Essen und wenn nötig mit Kleidung zu versorgen und ihre geistlichen Dienste in Anspruch zu nehmen, also sich segnen zu lassen, eine Brotbrechung zu veranstalten und wenn nötig sich  geistlichen Rat zu holen. Ansonsten hielt sie es, wie es sich schicken wollte und für ihre christlichen Bediensteten hielt sie auch einen Kaplan und eine Kapelle, hielt sie auch an, den Pflichten ihrer Religion zu entsprechen. Selbstverständlich auch war ihre Ehe durch einen katholischen Priester eingesegnet worden und waren ihre Kinder getauft, das verlangten die Regeln der Gesellschaft, die eben trotz allem keine katharische war. Die Bonshommes hinderten niemanden daran, zur Kirche zu gehen, denn es war eines ihrer Hauptprinzipien, dass sie niemandem Anstoß geben und niemanden gefährden wollten. Sie selbst aber, sie taten es nicht. Konsequent und aufrecht in Leben und Tod, in Wohlergehen und in Schmerzen standen sie zu ihrem Versprechen, das ihnen mehr galt, als manchem Christen ein Eid aufs Sakrament. Diesen Menschen zu gleichen mag Esclarmonde damals vorgekommen sein als verlangte es sie, zu Gott dem Allmächtigen zu werden – aber diese Haltung sollte sich schon vier Jahre später sehr verändert haben, denn:

 

Fanjeaux

Er hatte sie nicht gesucht, die Burg lag nur an seinem Weg und so wollte er die Nacht dort verbringen, falls man ihn denn aufnahm und siehe da, man ließ ihn ein und da der Schlossherrn gemeldet worden war, wer da um Herberge ersuchte, kam sie selbst, den berühmten Gast zu begrüßen; Guilhabert de Castres war auch unter den Bonshommes eine Ausnahmeerscheinung. Eine Nacht sprachen sie zu dritt – auch Castres wurde von einem Bruder begleitet  – miteinander, dann, am nächsten Morgen, gab Esclarmonde die Burg in die Hände ihres Verwalters – aber nur auf Zeit, schärfte sie ihm ein – und zog mit Guilhabert. In einem kleinen Konvent von Katharerinnen, in Fanjeaux, fand sie Aufnahme und konnte sich auf das Leben einer Bonsfemme vorbereiten, einer „Guten Frau“, wie nicht nur die Bäuerinnen, sondern auch die geweihten Katharerinnen hießen. Ab jetzt trug sie das lange, dunkle, weichfallende Kleid und den dunklen Schleier, schlief auf Stroh und auf einfachen Leintüchern in einer knapp, aber ausreichend möblierten Zelle. Nur den Gürtel mit den Knoten, den trug sie noch nicht, der würde ihr erst überreicht werden, wenn sie das war, was sie werden sollte. Ihr Aufenthalt war freiwillig, sie konnte ihn jederzeit beenden und nach Dun zurückkehren. Aber während sie in Dun einsam war, lebte sie hier inmitten vieler Frauen und Mädchen, die dasselbe wollten oder schon hatten, wie sie. Fanjeaux war keine strenge Klausur, die Frauen und Mädchen waren keine Nonnen, sie gingen in die Stadt zu ihren Schutzbefohlenen und die Bürger kamen zu ihnen ins Haus um durchreisende Brüder zu hören und mit ihnen das Brot zu brechen, aber auch um sich, waren sie krank, pflegen und helfen zu lassen oder um Lebensmittel zu bringen und Handwerksarbeiten zu verrichten – nicht alle und immer um Gotteslohn, denn die Frauen besaßen von seiten der Kirche etwas Geld zur freien Verwendung. Die katharische Gemeinschaft war nicht arm und seit der Krieg schwelte, spendeten viele reiche Credentes was sie konnten, denn sie wünschten nicht, dass die Katharer unterlägen, die ihnen stets gute Dienste geleistet hatten ohne viele Fragen zu stellen. Sie bildeten ihre Jugend aus, sie pflegten und heilten ihre Kranken, sie gaben aber auch politischen Rat und dank ihres Netzwerkes erwiesen sie sich sehr brauchbar als Überbringer von Informationen. Sie sahen die Zukunft und sie gingen auf dunklen Wegen in die Herzen der Menschen und lasen ihre geheimsten Gedanken und nichts gab es, das ihnen dabei widerstand. Man sagte, dass sie lange und viel beten würden – Esclarmonde wusste es bald besser: sie betteten den Leib zur Ruhe wie es irgend angehen wollte und ließen ihren Geist frei schweifen, um mit reichen Gaben zu den Menschen zurück zu kehren und sie vor denen auszubreiten, die Augen und Ohren dafür hatten. Sie fand sich bald eingebunden in ein Netz das die Sinne unbarmherzig schärfte, die Aufmerksamkeit für alles und jedes erhöhte und keinen Platz für inneren Müßiggang ließ, so duldsam es auch in Bezug auf äußere Ruhe sein mochte. Sie fand in Fanjeaux eine gute Bibliothek, in der weniger Wert auf fromme Schriften gelegt wurde, dafür sehr viel Wert auf Bücher über Heilkunde, Geschichte, fremde Kulturen und auch auf jene Reiseberichte, die Menschen schon vor langer Zeit abgefasst hatten und die ständig ergänzt und auf dem neuesten Stand gehalten wurden und sie fand, sie musste gar nicht lange danach suchen, jenes überaus heilige Buch, das außer den Novizen und den Vollkommenen niemand schauen durfte: den Worten Jesu selbst, die jeder Konvent in  mehreren Exemplaren besaß, denn die Männer nahmen sie auf ihren Reisen mit und die Frauen arbeiteten ihre eigenen Vorträge danach aus. Ein besonders prachtvolles Exemplar in ebenso prachtvoller Hülle, diente als Instrument mit dem der vorsitzende Katharer und nach ihm alle anderen eine Frau oder einen Mann in die Gemeinschaft – und Vormundschaft – der Katharer aufnahmen. Wie bei der altrömischen Adoptionszeremonie wurden Männer an der Stirn, Frauen an der Schulter damit berührt und ab diesem Moment galten sie als Söhne respektive Töchter Jesu und damit Angehörige der katharischen Gemeinschaft, in der alle mit allen durch diese Adoption verwandt waren. Diese Prachtrolle wurde aufwändig überall hin geschafft, wo die Aufnahme eines Novizen in die Gemeinschaft anstand. Es wurde behauptet, dass Miriam, die erste Lehrerin Galliens, es bei sich gehabt haben sollte – was natürlich eine fromme Legende war, denn als sie Gallien bereiste, gab es diese Sammlung noch gar nicht.

Esclarmonde hielt sich aber nicht lange mit der äußeren Form auf, sondern stürzte sich auf den Inhalt des Buches und ihr erster Eindruck war: wenn das hier wahr ist, wenn Jesus das gesagt hat, dann kann die christliche Kirche auch nicht mehr auf einen Atemzug überleben. Dann ist alles, was sie glaubt, alles, was sie tut, verkehrt. Dergestalt vorbereitet nahm sie nun die wahre Geschichte des Christentums zur Kenntnis  als eine Geschichte der Verdrehungen, Verleumdungen, Verheimlichungen und Verfolgungen – die um die Provençe aber seltsamerweise immer einen Bogen gemacht hatten. Im Gegenteil, gerade um diese Zeit erwies die Provençe sich als Zufluchtsort für anderweitig Verfolgte, nicht nur dass Juden hier unbehelligt und respektiert lebten, auch die Verbindungen zum muslimischen Spanien hinüber waren gut, so gespannt die Beziehungen zwischen der christlichen Kirche und dem Islam auch sein mochten. In den letzten Jahrzehnten aber waren immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten gekommen, die behaupteten, Gesinnungsgenossen zu sein. Aber sie gefielen Esclarmonde nicht und sie merkte, dass sie auch anderen nicht gefielen. Suew gebärdeten sich provokant, ließen sich auf Dispute mit Klerikern ein, statt für die Seelen zu sorgen, hörten sich gern reden und liebten große Versammlungen, schrieben dicke Bücher zusammen und versuchten, die von Konvent zu Konvent etwas andere Gemeinschaft zu einer Kirche zu vereinheitlichen, legten Wert auf besondere Äußerlichkeiten wie eine Art Ordenstracht, die bisher nur für die Frauen entwickelt worden war, ums sie vor Anzüglichkeiten zu bewahren, denn sie waren oft allein unterwegs. Die Männer trugen, was eben zur Hand war und kämmten sich wie sie konnten – die „Bulgaren“ aber trugen ihre legere Tracht auch außer Haus und legten Wert auf lange Haare und Bärte, sowie auf eine stets trübsinnig zu Boden gesenkte Miene. „Einen Bulgaren kann man riechen ehe man ihn sieht“ witzelten die Provençalen und wollten damit sagen, dass diese es mit der Körperhygiene nicht allzu genau nahmen.   Soweit  so gut, aber die Sache hatte noch eine unangenehmere Seite: die Kleriker nämlich machten sich nicht die Mühe, zwischen Provençalen und Bulgaren zu unterscheiden, für sie waren sie allesamt „Albigenser“ und damit gefährliche Ketzer. Endlich, endlich hatten die Kleriker einen Vorwand gefunden, um mit ihnen abzurechnen, die ihnen so manche Seele für immer abspenstig gemacht hatten, ohne dass sie auch nur einen von ihnen zu packen bekamen, obgleich – sie kannten einander gut, ihre Priester disputierten hin und wieder ganz gerne mit den Bonshommes und betonten immer wieder, dass diese in der Bibel gelehrter wären als sie selber.

St. Felix de Caraman, 1197, war ein Schock gewesen, dessen Nachbeben immer noch zu spüren waren. Auf diesem Konzil war festgelegt worden, dass die Prinzpien Gut und Böse ewig unversöhnlich nebeneinander stehen würden, während sie bisher davon ausgegangen waren, dass sich und das wussten sie wohl, Parallelen im Unendlichen schneiden würden und irgendwo ein Reich bestünde, in dem die Gegensätze nicht mehr galten. Natürlich waren es die Bulgaren, die für die ewige Trennung votierten und sie setzten sich durch, auch wenn ihr Mehrheitsbeschluss lange nicht bedeutete, dass jeder das, was sie sagten, für bare Münze nahm, denn ein Mehrheitsbeschluss, das wussten die Bulgaren wohl nicht, schloss die Anerkennung von Minderheitenvoten nicht aus, es herrschte Lehrfreiheit. Gefährlicher war ihre Attacke auf das Consolamentum, denn damit machten sie sich zum neuen Angelpunkt der ganzen Maschine… sie wussten aber anscheinend auch nicht, was die wirkliche Bedeutung dieses Aktes war und dass dabei geistig überhaupt nichts mehr geschah – das Consolamentum war vielmehr ein rechtlicher Akt und nur ein rechtlicher. Nur weil das Leben der Gemeinschaft so arm an außenwirksamen Riten war, hatte man es überhaupt, unbekannt wann, der römischen Adelsadoption nachempfunden, wie sie zu Zeiten der Flavier abgelaufen war, nur dass man statt des Stabes des Adoptionsrichters das zu einem Stab gerollte Evangelium benutzte, in dem man Jesus selbst herbei zitierte – ob er wirklich dabei war, blieb uninteressant. Noch viele andere Dinge verschlimmbesserten sie, mit denen Esclarmonde erst nach und nach zusammen kam, aber sie wusste, dass die Katharer jetzt gezwungen waren, einen Krieg an zwei Fronten zu führen: einer inneren, gegen die Bulgaren und einer äußeren wegen der Bulgaren, die ihre Provokationen auch im Westen nicht lassen  konnten… und natürlich war das das gefundene Fressen für die heißblütigen Trencavel, die Foix, die Toulouse und die Perelha und, und auf der anderen Seite die Montfort und die Levy und wie sie alle noch heißen mochten, heißblütige Kinder des Languedoc waren sie alle und der Frieden im Lande hing diesen Rittern, die vor allem tatendurstig waren,  schon längst zum Halse heraus. Die Provençalen hatten bisher durch ein Jahrtausend den möglichen Konflikt zu vermeiden gewusst, bei dem sie nur verlieren konnten – die Bulgaren, kaum dass sie im Lande waren, suchten ihn geradezu. Man muss sich nicht wundern, wenn man durch tausend Jahre sehr wenig von den provençalischen Katharern hörte – sie legten es nicht darauf an. Und man muss sich ebenso wenig wundern, wenn man im zwölften Jahrhundert auf einmal viel von Katharern in der Provençe hört und zugleich zur Kenntnis nehmen muss, dass am Beginn des zwölften Jahrhunderts gnostische Häretiker aus Byzanz ausgewiesen worden waren – hier tauchen sie wieder auf, aber die weitaus meisten sind wohl in der Lombardei hängen geblieben, wo sie das Profil der gnostischen Gemeinschaften radikal veränderten. Dennoch blieb St. Felix de Caraman ein Unglück und die provençalischen Gnostiker sahen schweren Zeiten entgegen, in die auch Esclarmonde hinein gezogen werden sollte – auch wenn sie den Zusammenbruch der Philosophie nicht mehr erlebt hat. Der französische König, dem die provençalischen Herren schon lange viel zu selbständig agierten, sah seine Chance und schloss sich dem Bemühen des Papstes an, der römischen Kirche endlich auch hier die Oberhand zu geben und so trafen sich König und Papst hier im besten Einvernehmen. Die ersten Übergriffe waren bereits erfolgt, aber noch stand es unentschieden, was vor allem an den Herren von Toulouse lag, die wiewohl im christlichen Heer, doch insgeheim Credentes waren und dasselbe sabotierten wo sie konnten. Es stand aber auch unentschieden, weil absolut noch nicht klar war, wohin sich der spanische König endgültig wenden würde, den Lehensverhältnisse an die Fürstentümer in den nördlichen Pyrenäen banden. Immer noch auch setzte eine starke Partei innerhalb der Kirche auf die intellektuelle Auseinandersetzung anstelle des bewaffneten Konflikts. Aber alle diese Konstellationen wurden gemach brüchig und waren oft von vornherein labil – und in dieser Zeit, da alles in Fluss geraten war und nichts wirklich hoffnungsvoll aussah, nahm Esclarmonde im Jahre 1204 ihr Consolament und wurde von ihrem Lehrer Guilhabert in der Gemeinschaft der Katharer willkommen geheißen.

Geht zu Eurem Spinnrocken…

 

Es gab, geraden weil die Zeiten so unsicher waren, für eine Esclarmonde viel zu tun. Von dem Witwengut, das sie der Gemeinschaft der Katharer zubrachte, ließ sie zunächst einmal Fanjeaux, das zu ihrem Besitz gehörte, ausbauen und befestigen. Dann machte sie sich daran, das ebenfalls zur Grafschaft Foix gehörige Montségur[1] zu renovieren und zu erweitern, eine entlegene Bergfestung und durch seine Lage auf schmalem. steilem Gipfel eines Pog, eines ringsum freistehenden Felsens, nahezu uneinnehmbar. Ein kleiner Frauenkonvent lebte bereits dort, sie sorgte dafür, dass er Zuzug bekam und ließ nach und nach Vorräte dorthin schaffen, sodass es nicht nur den Frauen dort an nichts mangelte, sondern auch genug blieb, um eine größere Schar von Zuflucht Suchenden zu versorgen und vor allem auf dem engen Terrain zu behausen, was viele Umbauten notwendig machte. Ihren ehemaligen Witwensitz Dun aber baute sie zu einer Bildungsanstalt für junge Mädchen aus und setzte ihre Schwägerin Philippa de Montcada, ebenfalls eine Perfecta, als Rektorin ein. Daneben vernachlässigte sie aber auch die geistige Arbeit nicht und brachte es darin zu solcher Fertigkeit und Sicherheit, dass sie bald zur Vorsteherin gewählt wurde und als solche im geschützten Bereich des Konvents weithin berühmte Vorträge hielt. Auch Guilhabert, ihr ehemaliger Lehrer, gehört nun zu ihren Studenten und er war es vor allem, der zwischen ihr und dem Leitungskreis der Katharer die Verbindung hielt. So kam es, dass er ihr eines Tages den Vorschlag unterbreitete, ob sie nicht in dem nach Pamiers einberufenen Gespräch zwischen Vertretern der Kirche und der Christen eine Rolle übernehmen wollte. Esclarmonde war skeptisch, da ihr das Verhältnis der Christen zu Frauen bekannt war. Man wird nicht auf mich hören, wandte sie ein, aber Guilhabert überzeugte sie, dass es weniger darauf ankomme, ob man auf sie hören werde, sondern darauf, dass sie für die Gefährten da sei, die eine feste Institution an ihrer Seite brauchen würden. Und die solle sie sein… doch, die wäre sie, denn ihre Sicherheit in der Lehre werde auch die andern sicherer machen. Na gut, aber sie werde sich zurückhalten… was sie dann, wie wir erfahren, doch nicht tat. Denn allzu sehr kehrten die Vertreter ihre angeblich weißen Westen hervor, allzu sehr bestanden sie darauf, dass ja nicht sie mit den Provokationen begonnen hätten – was im Grunde ja auch wahr war, aber sollte man ihnen das Vergnügen bereiten, den inneren Spalt aufzuzeigen, der zwischen den Provençalen und den Bulgaren bestand? Würden sie eine solche innere Spaltung nicht umgehend für  ihre Zwecke ausnutzen?

Esclarmonde wird mit sich gerungen haben, ehe sie sich offen in den Streit zwischen Mönchen und Bonshommes einmischte, der 1207 in Pamiers ausgetragen wurde – aber es war nicht ihre Schuld, dass er im Eklat endete, sondern es war die Schuld eines vorher und nachher bedeutungslosen Mönchs, der es nicht ertragen konnte, dass eine Frau ihm den Nachweis erbrachte, dass seine Kirche eben doch keine weiße Weste habe und ihrerseits jeden Vorwand ausnutzte, weidlich Gewalt zu üben. Dieser Mönch glaubte, sie leichthin zurückweisen zu dürfen und so fielen die nachmals berühmten Worte „Dame, geht zu Eurem Spinnrocken, es kommt Euch nicht zu, in der Gemeinschaft von Männern zu sprechen!“ Esclarmonde hatte Analyse betreiben wollen, der Mönch sah nur seinen Vorteil, dieses durch seine freche Zurückweisung effizient zu verhindern. Esclarmondes Bestreben war, zu zeigen: wir sind beide keine Lämmer, ihr nicht und wir nicht und wir sollten den Unsinn beenden solange es noch Zeit ist und die Unruhestifter je nachdem zur Rechenschaft ziehen. Aber der Punkt war überschritten, an dem das möglich gewesen wäre, die Atmosphäre in Pamiers war beiderseits geladen, die Rechnung bereits beiderseitig lang. Die Gemäßigten setzten sich mit ihrem Wunsch nach einer weiteren Diskussion nicht durch, die Bulgaren hingegen argumentierten mit der Ehre der Dame Esclarmonde, die man unmöglich so verletzt lassen konnte, auch wenn sie selber nicht wünschte, dass man sie wieder herstellte und Esclarmonde wünschte das weiß Gott nicht, sie kannte doch das Schema, in dem katholische Mönche dachten. Aber sie, Guilhabert und Benoit de Termes, der das Gespräch zustande gebracht hatte und dem nichts an einem Scheitern lag, setzten sich gegen die Bulgaren und ihre Sympathisanten aus ritterlicher Hitzköpfigkeit wieder einmal nicht durch und die katharische Delegation brach im Ganzen das Gespräch ab und verließ Burg und Stadt – der letzte Versuch, den weitausgreifenden kriegerischen Konflikt zu verhindern, war gescheitert.

Der zerbrochene Krug

Esclarmonde und Guilhabert zogen sich daraufhin in den Konvent respektive in das Haus zurück, das der Bonshomme dort besaß, ob beide Male dasselbe Haus gemeint ist, die Nachrichten sind zu ungenau. Im Jahre 1209 jedenfalls wurde der päpstliche Legat Peire de Castelnau von wahrscheinlich bulgarisch gesinnten Credentes ermordet. Raimund von Toulouse endgültig exkommuniziert und der große Krieg brach aus, der bis 1229 währte und nach über tausend Jahren der Ruhe diesen letzten Ort, an dem die Lehre Jesu noch etwas galt, von der Erde tilgte. Nur Reste blieben übrig, die sich soweit sie auf der Lehre von Niketas  fußten,  auf der Festung Montségur sammelten und dort von den Kreuzfahrern 1244 vernichtet wurden. Nur wenigen gelang die Flucht.  Aber in den vergangen Jahrzehnten hatte, gemessen an der doch relativ geringen Zahl der initiierten Katharer,  geradezu ein Massenansturm auf die Routen nach Norditalien und weiter nach den Osten eingesetzt – und so sind bei weitem nicht alle Katharer der Inquisition zum Opfer gefallen, weitaus mehr hatten sich durch das Veltlin und dann weiter bis nach Böhmen und Ungarn hin abgesetzt. Ob Esclarmonde mit diesen gezogen ist, oder ob sie inmitten der ersten Wirren im Haus in Fanjeaux eines natürlichen Todes starb, ist nicht gewiss, nur eines ist gewiss: eine Märtyrerin des – bogomilischen – Katharismus eines Niketas ist sie nicht geworden, denn darüber, dass ihnen Esclarmonde de Foix ins Netz gegangen,  hätten die christlichen Quellen wohl kaum geschwiegen. Vielleicht bringen jene Akten Licht in die Angelegenheit, welche die katholische Kirche nach wie vor verborgen hält, vielleicht wurde auch unter den freigegebenen etwas bisher übersehen, jedenfalls ist ihr Schicksal nach dem Eklat von Pamiers unbekannt.

Die Annahme, dass sie um 1215 gestorben sein soll, ist jedenfalls pure Spekulation, die auf dem durchschnittlichen Lebensalter von Frauen der Zeit beruht. Was von ihr bleibt, ist der Mythos einer außergewöhnlichen Frau, die in einem Lebensalter, in dem andere Frauen zu Greisinnen werden, ein zweites Leben begann. In diesem zweiten Leben hinterließ sie Spuren, die uns ahnen lassen, wie viel sie den Ihrigen wert gewesen sein mochte und wie sehr ihr Gegner sie gefürchtet haben mögen und sich ihrer zu entledigen suchten, indem sie danach strebten, sie mundtot zu machen, was ihnen dank der Hilfe der aggressiven Bulgaren denn auch gelang. Ob sie aber ganz und gar mundtot gemacht werden konnte, wissen wir nicht. Der Mythos sagt Nein, er erkennt ihr sogar eine überhöhte Rolle zu, wenn er sie in der Sage vom Fall Montségurs geradezu vergöttlicht. Dahinter steht die allen Katharern bekannte Aussage, dass Vertrauen in der Lage ist, Berge zu versetzen – also lässt man Esclarmonde in Gestalt einer Taube den Pog de Montségur spalten und mit dem „Schatz der Katharer“, nämlich den Verborgenen Worten entschwinden. Eine solche Einkehr in den Mythos ist sogar für eine katharische Frau außerordentlich, die es doch gewöhnt war, von ihresgleichen und den Credentes ernst genommen zu werden. Die Aussage ist: diese Frau hat aus den Tiefen der katharischen Lebenshaltung das Wichtigste genommen und gerettet, was diese hatte: die Lehre Jesu, wie sie wirklich war. Sicher – sie war zu diesem Zeitpunkt, 1244,  schon tot, aber was besagt das in der symbolischen Aussage, die hier über sie gemacht wird? Ihre Lebenszeit ist das Eine – die Geschichte ihres Wirkens ist das Andere und hier kommt ihr, bei aller „Diskretion“ der Papiere wohl eine überragende Bedeutung zu. Es ist gut möglich, dass der Einfluss, den sie auf die Gemeinschaft hatte, den Einfluss der Bulgaren zuletzt zurückdrängte und dass die –verbürgte –  Massenflucht der Katharer auf ihre Anregung zurückgeht, indem sie selbst davongingen, das Wichtigste zu retten, das da zu retten war: nämlich das eigene Leben und damit die alte und zentrale Botschaft der Gnosis: wer sein Leben auf sich nimmt… wird werden wie ich.

Möglich, dass sich auf der Burg ein Prachtexemplar der Lehre befand, das zur Erteilung des Consolamentum diente (400 Credentes empfingen es am Abend vor der Kapitulation der Festung) als Sakrament aus der Hand der „bulgarischen“ Perfecti. Zweien von ihnen gelang  in derselbe Nacht die Flucht aus der Festung und sie nahmen es wohl mit sich, auf dass es nicht in unbefugte Hände falle. Die zwei wurden kurze Zeit später ebenfalls gefasst, der „Schatz der Katharer“ aber blieb verschwunden. Dieser  Vorfall mag der wahre Kern der Sage sein, in der Esclarmonde zum guten Schluss im Zeichen der Taube, also des „Geistes“ erscheint, den man bei Strafe ewiger Verdammnis nicht lästern darf. Mit diesem also wurde sie bei denen, die sich ihrer erinnerten, auf das engste zusammen gebracht. Welche höhere Ehre konnte ihrem Andenken zuteilwerden – eigentlich keine. Indem der Krug des südfranzösischen Katharismus zerbrach, verströmte er seinen Inhalt, die Gnosis, über ganz Europa und noch Jahrhunderte später kann ein Mann in irgendeinem mitteldeutschen Nonnenkloster ein Buch finden, das sein Leben verändert..der Mann kommt gerade aus Böhmen, das im Rufe steht, die Heimat der Ketzerei zu sein und heißt Thomas Müntzer..

 

 

 

 


[1] Perelha, zu dessen Bereich der Montségur unmittelbar gehörte, war ein Lehensmann der Foix.

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